Anmerkungen zur Polarität
by Dr. rer. nat. Marlies Koel
Menschen haben schon immer um die die Bedeutung der Polarität gewusst und dass mit der Entstehung neuen Lebens verbunden ist. Die Polarität selbst ist ein Ausdruck des Lebens. Betrachten wir Spermium und Eizelle in der Polarität, so ist es ein Ausdruck des Lebens. Wenn eine Empfängnis stattfindet, entsteht neues Leben. In einer Fortbildung habe ich vor vielen Jahren gelernt, dass die Eizelle das Spermium auswählt. Das Weibliche entscheidet, welches neue Leben entsteht. Das vergessen Frauen gerne.
Das Leben geht nur in der Polarität und bedeutet immer eine Dreiheit, ein Leben in der Dreiheit. Diese Dreiheit bestimmt unser Dasein von Anfang an. Wir erleben sie nicht nur in unserem Körper, sondern auch im Äußeren, auf den verschiedenen Ebenen, auch in der Religion.
Es gibt drei Überlebensreflexe, drei Keimblätter und der Mensch kann wie folgt betrachtet werden: ein Teil Säugetier, ein Teil Mensch, ein Teil göttlich. Auch finden unsere Entscheidungen auf drei Ebenen statt, wie auch unsere Empfindungen. Wir können mit dem Hirn, dem Bauch oder dem Herzen fühlen und entscheiden.
Wir kennen auch viele Polaritäten in uns: vorne-hinten, oben-unten, rechts-links, innen-außen, um einige zu nennen. Weiblich und männlich sind ebenfalls eine grundlegende Polarität. Weitere sind zum Beispiel Geist-Materie, schwarz-weiß, gut-böse, gesund-krank etc.
Auch auf das Nicht-Verstehen, was uns in unser aller Leben begleitet, reagieren wir entweder mit Forscherdrang, sprich vorwärts gehen, oder mit einem Rückzug, bis hin zu einem Stillstand. Wir leben in einer Welt der Möglichkeiten.
Ob Mann oder Frau, wir haben immer männliche und weibliche Anteile in uns, nur in unterschiedlichem Maß. Solange diese Anteile in uns nicht in einem ausgewogenen Miteinander sind, und in einer friedvollen Partnerschaft sind, leben wir in einem inneren Krieg, den wir nach außen projizieren. Wir können das „Dritte“ nicht finden. Die derzeitige Genderthematik trägt meiner Ansicht nach nicht zu einer Lösung bei.
Das Konzept der scheinbaren Polarität von Leben und Tod schafft Verwirrung, denn es ist Konzeption und Tod. Leben ist immer. Eine weitere scheinbare Polarität ist die von Adam und Eva, die den patriarchalen Strukturen Vorschub leistete. Die echte Polarität, Adam und Lilith, wurde kurzerhand frühzeitig aus der Bibel getilgt.
Wir leben in einer Welt der Polaritäten und eine Polarität ist nur über die Dreiheit möglich. Wir sind es gewohnt, die Welt aus einer relativen Perspektive heraus wahrzunehmen. Es bedeutet, dass wir uns und die Welt aus einem steten Vergleich heraus wahrnehmen. Polarität bedeutet Leben in der Bewegung, im Raum und in der Zeit. Kommen wir mit der Polarität in Konflikt, dann entstehen Dilemmas und dadurch können wir das Dritte, das, worum es wirklich geht, nicht mehr wahrnehmen. Das verhindert Entwicklung, denn wir sind im Dilemma verstrickt und gefangen. Wie ich bereits an anderer Stelle schrieb, sind Dilemmas unsere unbewusst genialste Erfindung, um nicht vorwärts zu gehen und uns weiter zu entwickeln. Dilemmas können sowohl auf körperlicher, psychischer Ebene oder auch in der äußeren Welt stattfinden. Sie treten auf, wenn wir uns in einer Diskrepanz und Widerspruch innerhalb eines Systems bewegen, und nicht in der Lage sind, eine Entscheidung zu treffen. Zum Beispiel im Kontext von Geist-Materie, Körper-kein Körper, Chaos-Struktur und anderen Konflikten. Jede Polarität auf den verschiedensten Ebenen des Lebens kann sich zu einem Konflikt entwickeln, wenn wir dort hineingeraten. Eine Folge davon ist, dass wir das Dritte nicht wahrnehmen und eine wirkliche Vorwärtsentwicklung und Lösung verhindert ist. Das Dritte, das worum es auch noch geht, wird nicht berührt. Wir stecken dann in einem Dilemma fest und suchen auf dieser Ebene nach der Lösung. Jedoch ist sie dort nicht zu finden. Rumi wies uns bereits den Weg, dass die Lösung über das Dritte geht: Jenseits von richtig und falsch, dort gibt es einen Ort. Dort treffen wir uns.
Die Polarität ist nur in der Dreiheit zu lösen, dass wir das Dritte entdecken. Unsere Zivilisation hat sich weitestgehend für die Materie entschieden. Die Entscheidung dafür hat nach meiner Erfahrung zum patriarchalen Gedankengut geführt. Möglicherweise liegt darin ein Grund der massiven Abspaltung, die in uns und vielen essentiellen Bereichen der Gesellschaft, wie der Wissenschaft, Wirtschaft und in unserer jetzigen Lebensweise ihren Höhepunkt findet. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich zunehmend auf das Äußere. Wir sind vielfach damit beschäftigt, etwas zu sein, was wir nicht sind. Wir versuchen, unseren Platz und unsere Zugehörigkeit im Äußeren zu sichern, um ein Teil des Ganzen zu sein. Dabei können wir uns selbst nur im Inneren finden und uns selbst diesen Platz geben. Auf diese Weise könnte die gesellschaftlich synchronisierende Sinnbefreiung und Sinnlosigkeit überwunden werden.
Ein weiterer Ausdruck des Grunddilemmas der Polarität findet sich für mich in der Formulierung des Heiligen Inneren Krieges, der nach außen projiziert wurde und wird. Dies hat zu entsetzlichen kriegerischen Auseinandersetzungen geführt. Wie ich bereits in meinem Beitrag über Dilemmas geschrieben habe, sind sie per Definition nicht lösbar und doch gibt es eine Lösung. Sie liegt im Dritten, denn der Polarität liegt immer eine Dreiheit zugrunde. Sie bedingt diese. Hierbei ist es möglich, auf einer bewussten Weise -geistig wie körperlich- diese Ebene fühlbar, erfahrbar und erlebbar zu machen. Eine nachhaltige Veränderung und Transformation wird dadurch erfahrbar und umsetzbar
Wir leben in der physischen Welt, und wir haben mit beiden Füßen auf der Erde zu stehen und uns zum Himmel, zur Quelle hin auszurichten. Wie Khalil Gibran es sagte: „Ich bin in dieser Welt und nicht von dieser Welt.“
Was wäre, wenn wir die erste Polarität als Wegweiser für unsere nächste Entwicklungsstufe nehmen würden? Was wäre, wenn wir uns auf Augenhöhe als Menschen begegnen würden, so wie ich es in dem kurzen Beitrag „Next Level, die weibliche Schöpferkraft“ beschrieben habe. Das Neue entsteht aus dem Weiblichen, und es wäre förderlich, wenn das Männliche dem Weiblichen diesen Raum geben würde. Davon ist die patriarchal geprägte Gesellschaft weit entfernt. Es geht nicht darum, alte matriarchale Strukturen zu aktivieren, denn die Entwicklung geht immer nur vorwärts. Die nächste Ebene bedient sich der weiblichen Schöpferkraft, um eine neue Stufe zu erklimmen. Diese ist geprägt von der Gleichwertigkeit, einem integrierten Polaritätsverständnis, welches das Dritte wahrnimmt, sowie von Wertschätzung und Respekt.
Vielleicht wäre es gut, dem Konzept von Adam und Eva mehr Aufmerksamkeit zu schenken und es zu hinterfragen, da es aus meiner Sicht keine echte Polarität ist. Dies impliziert auch in Hinblick auf unsere Strukturen und unsere Weltanschauung interessante neue Aspekte. Peter Reiter hat in seinen Seminaren häufig die Aussage von Meister Eckhardt „Der Seele Grund und Gottes Grund ist ein Grund“ zitiert. Was wäre, wenn Gott und der Mensch eine Polarität wären? Was wäre, wenn wir uns dieser Frage zuwenden würden? Was wäre dann das Dritte?
Ich lade ein, neue Perspektiven zu entdecken, in einen Dialog mit den Polaritäten zu treten, um einen Wandel zu unterstützen. Ich freue mich, wenn ich zu einer nachhaltigen Veränderung in Deinem Leben beitragen kann.