Anmerkungen zur Schwangerschaft, Geburt und frühen Kindheit
by Dr. rer. nat. Marlies Koel
Alle Menschen, zu allen Zeiten, greifen in ihren Träumen und Mythen auf eine begrenzte Anzahl von Themen und Bildern zurück. Nach C.G. Jung sind diese Archetypen Inhalt des kollektiven Unbewussten. In der Erlebniswelt von Mutterleib, Geburt und frühster Kindheit finden sich die Wurzeln des kollektiven Unbewussten. Ähnliche Traumbilder und Mythen entstehen, weil alle Menschen den gleichen Anfang miteinander teilen. Der Baum ist eines der zentralen Symbole der Menschheit. Die Geschichten, die seit Urzeiten in den Mythen über Bäume erzählt werden, symbolisieren den Baum der Plazenta.
Zu den kulturellen Grundelementen, die eine Gesellschaft maßgeblich charakterisieren, gehört der Umgang mit der Schwangerschaft und der Geburt, der frühkindlichen Phase, der Umgang mit der Beziehung zwischen den Geschlechtern und letztlich das Sterben. Früher bestand eine hohe Sterblichkeit für Mutter und Kind. Dieser Lebensanfang war für Mutter und Kind eine Zeit äußerster Gefährdung und war damit mit Ängsten und Verunsicherung verbunden. Hinzu kamen Hungerzeiten, Kriege und Krankheiten, welche die Schwachen, die älteste Generation, Mütter und Kinder am schlimmsten betrafen. Dies resultierte möglicherweise zu den eher unpersönlichen Eltern-Kind-Beziehungen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit.
Im 19. Jahrhundert kam es zur schulischen Förderung der Kinder und im 20. Jahrhundert erhalten Kleinkinder im Kindergarten eine Unterstützung in ihrer Entwicklung. Die frühkindliche Förderung findet Eingang in unsere Gesellschaft. In den letzten Jahrzehnten bekommen Säuglinge in ihren Entwicklungs- und Beziehungsbedürfnissen zunehmend Aufmerksamkeit. Mit der Einführung des Ultraschalls entstand eine Beziehung zum ungeborenen Kind, und das Interesse an dessen Wohlergehen nahm zu. Damit rückte die Phase der Schwangerschaft mehr in den Fokus. Mit der sanften Geburt und dem Rooming-In änderte sich unser Blick auf unsere Anfänge weiter. Das Interesse wurde und wird immer größer. Der Blick auf unsere Lebensgeschichte vertieft sich, denn es ist offensichtlich geworden, dass das ungeborene Leben bereits auf die Welt außerhalb der Plazenta reagiert. Es trifft bereits Entscheidungen und dem Ungeborenen wird ein Seelenleben zugestanden. Erst seit Beginn dieses Jahrtausends kam die Idee auf, dass das Leben bereits mit der Konzeption beginnt. Heute erscheint uns dies alles so selbstverständlich, nur ist es noch nicht lange her, dass wir dieses Wissen erlangt haben.
Das Ziel meines Wirkens ist es, alte Muster, Verletzungen und Traumata erlebbar zu machen und zu transformieren, um unseren wahren Kern, wer wir wirklich sind, freizulegen. Über den Weg des Ypsilons können wir die Möglichkeit eines Lebensweges eröffnen, indem die Neoplastizität des Gehirns genutzt wird. Es ist sinnvoll, diese Arbeit zu wiederholen, da eventuell nicht alle Aspekte in einem Mal erfasst werden können. Auch prägt sich das Anlegen neuer neuronaler Netzwerke am besten durch Wiederholungen ein.
Die Sehnsucht nach einem „Leben“ wird dadurch genährt, und unser essenzielles Sein wird dadurch gestärkt. Neue Wege können beschritten und gelebt werden: wie wir atmen, uns bewegen, wie wir denken und in Kontakt mit uns selbst und anderen sind. Neue Lösungen für alte Probleme, Konflikte und Traumata. Aus dem Meer der Möglichkeiten können neue Lebenswege gefunden werden. Ein tieferes Verständnis für das eigene Sein entsteht.
Beim Thema Schwangerschaft ist zu berücksichtigen, dass wir im Grunde genommen alle Frühgeburten sind. Unsere Schwangerschaft dauert 9 Monate. Normalerweise müsste eine Schwangerschaft ca. 20 Monate dauern. Das stellen wir uns lieber nicht vor. Der Preis für die abgekürzte Zeit ist, dass in unserer Schwangerschaft verschiedene Regionen im Gehirn und Organe noch nicht ausgereift sind. Deshalb ist auch das Bonding, die Befriedigung der Bedürfnisse des Säuglings, das harmonische Miteinander von Mutter und Kind, von enormer Bedeutung. Eine entspannte und friedvolle Schwangerschaft, sowie ein sicheres Nest tragen enorm zur Bildung der inneren Sicherheit und des Ur-Vertrauens bei. Die Mutter-Kind-Bindung ist von Anfang an ein entscheidendes Fundament für die weitere Entwicklung.
Alle positiven wie auch negativen Erlebnisse aus der Zeit der Schwangerschaft sind im Zellgedächtnis gespeichert. Sie können die Ursache für unsere Erkrankungen, gleichgültig ob auf psychischer oder psychosomatischer Ebene, sein. Auch diese Phase beeinflusst, wie wir das Leben betrachten. Das jeweilige Thema kann sich auf ganz anderen Ebenen zeigen, die nicht offensichtlich sind. Das Wohlbefinden während der Schwangerschaft und Kleinkindzeit ist prägend und von zentraler Bedeutung mit all den unbewussten, vorsprachlichen Entscheidungen. Hierbei ist wesentlich, dass in den Anfängen weder ein zeitliches Verständnis noch eine Klarheit über das Ich und Du bestehen.
In der Schwangerschaft können viele Ereignisse von Bedeutung sein, auf die das ungeborene Leben reagiert und unbewusst Entscheidungen fällt. Hier exemplarisch nur einige mögliche Ereignisse, die der Fetus erleben kann, und auf die er existentiell reagiert:
- Ein Zwillingsverlust, welches unter anderem den Verlust des Vertrauens in andere untergräbt, neben dem Thema „Ganzheit“ und doch nicht „ganz“ sein, die ewige Suche, die Schuld und die Annahme, nicht genug getan zu haben etc.
- Krankheiten der Mutter, die existentiell den Fetus gefährden.
- Die plazentare Versorgung ist gestört.
- Schocks,
- Unfälle,
- Frühgeburt,
- Ablehnung der Schwangerschaft.
Nach der Geburt sollte ein intensives Bonding zwischen Mutter und Kind stattfinden, ein gegenseitiges Einschwingen. Das Kind bekommt eine Bedeutung, die Sicherheit des Platzes und eine Zugehörigkeit. Durch die Liebe der Mutter wird es „adoptiert“, sozusagen mit Haut und Haaren. Später setzt sich dies im Leben fort und zeigt sich in allen Lebensbereichen, unter anderem in dem Bedürfnis nach der Bedeutung, wie es sich im Leben wohl fortsetzt: in Freundschaften, Partnerschaften, Gruppen, im Gesellschaftlichen und im Beruf. Mit diesem Bedürfnis sind einige weitere verknüpft, wie zum Beispiel das grundlose „Ja“, in Ordnung zu sein, Wertschätzung, das Gesehen und Gehört werden, anerkannt zu sein und etliche andere. Sind diese initiale Grundbedürfnisse nicht erfüllt, kann es im späteren Leben zu Konflikten und Herausforderungen führen. Die Angst, dass es nie reichen könnte, dass wir ersetzt werden könnten und vieles mehr, hat seinen möglichen Ursprung in dieser frühen Phase.
Der Übergang vom Fetus zum Baby und später die Geburt sind ein prägendes Erlebnis für Mutter und Kind. Die tiefgreifende Erfahrung der Geburt kann sehr unterschiedlich von beiden Seiten erlebt werden. Die Mutter kann die Geburt als ein sehr positives Ereignis abgespeichert haben, während das Kind eine gänzlich andere Erfahrung in sich trägt. Die zentrale Bedeutung für das Kind zeigt sich, indem sich das Erleben der Geburt auf jede Phase unserer körperlichen und psychischen Entwicklung auswirkt. Unsere Psychosomatik wird davon beeinflusst. Selbstverständlich verändert eine Geburt auch die Mutter.
Mit der Geburt verlassen wir den ersten sicheren Raum, die Plazenta. Wir gehen in eine unsichere äußere Welt, und haben dort unseren Platz zu finden. Wir vertrauen darauf, als Säugling versorgt zu werden und dass alle unsere Bedürfnisse erfüllt werden. Grundsätzlich kann das Baby alles, was es braucht, signalisieren, um die Mutter zu animieren, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Dies gelingt normalerweise hervorragend. Außerdem sorgen die hormonellen Umstellungen der Mutter dafür, dass sie sich sofort in ihr Baby verliebt.
Das Baby fällt viele Entscheidungen. Es ist faszinierend, wie die kleinen Wesen ihre Umgebung präzise wahrnehmen und dabei unbewusst genau erfassen, mit welcher Strategie sie ihre Bedürfnisse erfüllt bekommen. Manchmal dirigieren sie ein ganzes Familiensystem. Das dürfen sie. Das Thema sind dann die Eltern.
Die frühkindliche Phase wird bis zum 3. Lebensjahr gerechnet. Die motorische Entwicklung, an der die psychologische gekoppelt ist, benötigt den Raum, die Zeit und die Fürsorge der Familie. Es ist eine enorme Leistung von den Eltern, die Hierarchie innerhalb der Familie einzuhalten. Dies bedeutet, dass das Kind sich in das Energiefeld der Eltern einordnet und diese ihm liebevoll Grenzen setzen. Diese frühkindliche Phase ist auch vom Erlernen des Sprechens geprägt. Auch verfügt das Kind in dieser Phase noch über kein Zeitempfinden. Dieses entsteht erst mit 5 bis 10 Jahren. Entsprechend sind dessen Entscheidungen zeitlos, sozusagen in der Ewigkeit. Es empfindet vollkommen anders als die Erwachsenen. Das Kind entscheidet in dieser Phase mit welcher Brille es sich und die Welt sieht, ob das Glas halb voll oder halb leer ist.
All das ist für jede Phase unseres späteren Lebens von enormer Bedeutung. Gerade in Veränderungssituationen im Leben werden die alten Muster aktiviert. Oft wissen wir nicht, was die Ursache für unsere Symptomatiken ist. Die Lebenswirklichkeit des Anfangs ist nur ganzheitlich zu erfahren und zugleich ein individuelles Geschehen. Häufig wird die Bedeutung unserer Anfänge vollkommen unterschätzt. Den Mut zu haben, diese Phasen zu erkunden, ist lebensverändernd und fördert unsere seelische und physische Gesundheit.
Es ist ein Teil meiner Arbeit, den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in diesen Bereichen zu erkunden, um ein vertieftes Verständnis zu erlangen. In dem individuellen und tiefen Prozess wird auch der Raum für neue Blickwinkel, Entscheidungen und Handlungskompetenzen geschaffen. Dadurch wird eine Wiederholung der ewig sich wiederholenden Muster verstanden und der Raum für nachhaltige Veränderungen geschaffen.
Mit jeder „Geschichte“, die sich zeigt und erzählen darf, wird diese nun neu bewertet und entschieden, und so der Raum für ein Leben bereitet.
Ich freue mich, Dich in diesem wichtigen Prozess begleiten zu dürfen.