Projektionen

von Dr. rer. nat. Marlies Koel

für eine konstruktive Diskussionskultur ist es richtungsweisend, wenn beide Seiten sich aus einer gegenseitigen respektvollen und wertschätzenden Haltung heraus begegnen. Dies setzt vor allem einen achtsamen Umgang mit sich selbst und den Anderen gegenüber voraus. Unsere Bereitschaft, uns selbst, unsere Sicht- und Reaktionsweisen zu hinterfragen ist dafür äußerst dienlich.

Es kann geschehen, dass wir in einer Eskalation oder Diskussion unserem Gegenüber vorwerfen: „Du hast ...“, „Hättest Du ...“ oder „Du bist schuld ...“ Oder auch andersrum: „“Ich kann nichts dafür ...“, „Ich habe nur getan, was du gesagt hast ...“, „Es war deine Entscheidung...“

Wenn wir uns verletzt oder gar angegriffen fühlen, kann es schnell dazu führen, dass wir uns existenziell bedroht fühlen und in die Verteidigung oder zum Angriff übergehen. Was geschieht da genau: unbewusst sind wir durch unsere Emotionalität in einer alten Situation gefangen. Wir reagieren also wie damals und wenden unsere frühere Überlebensstrategie an, obwohl die Situation eine vollkommen Neue ist und eigentlich nichts mehr damit zu tun hat.

Das Thema der Projektionen ist ein weites Feld. Gerne weise ich immer wieder darauf hin, uns diese bewusst zu machen, sie wahrzunehmen und zu uns zurückzuholen. Danach stellen wir uns die Frage: „Was hat dies mit mir zu tun?“
Im Folgenden gilt es die, dies ursprünglich ausgelöst habende Geschichte in meinem Leben zu finden und einen anderen Blickwinkel dazu einzunehmen. So können wir uns neu für unseren Lebensweg entscheiden.

Wir können die jeweilige Situation als Chance sehen, um unserem Gegenüber zu erzählen, was sich dabei in uns abgespielt hat – und dies, ohne den Anderen zu verletzen. Es ist eine förderliche Möglichkeit für ein harmonisches Zusammenleben mit unseren Mitmenschen.

In dem Zusammenhang ist folgende Grundsatzfrage interessant: „Was hätte sich für die Menschheit geändert, wenn im Paradies Eva, statt zu sagen „Ich war das nicht, die Schlange war es“ gesagt hätte: „Ich war es“?
Möglicherweise wäre der Mensch in seiner Eigenverantwortlichkeit geblieben. Vielleicht hätte es keine oder weniger Projektionen gegeben. Denn dann lassen sich leichter und schneller Lösungen erzielen.

Wir können die Projektionen zurücknehmen, wenn wir erkennen, dass mein Gegenüber mein Spiegel ist und wir uns die Frage stellen „Was hat es mit mir zu tun?“. Betrachten wir mit Mitgefühl die gefundene alte Geschichte, die sich erzählen möchte.

Folgende Frage ist in diesem Zusammenhang ebenfalls interessant:
„Was würde sich in meinem Leben ändern, wenn alle bewussten oder unbewussten Konflikte und Probleme geklärt und gelöst wären und es absolut nichts mehr aufzuarbeiten gäbe?“

Die meisten Menschen antworten, dass das Leben dann langweilig wäre. Manche antworten, dass sie dann sterben können, und nur wenige antworten, dass sie es genießen würden.

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